Der Medizinanthropologe und emeritierte Professor Michael Winkelman hat sich sein ganzes Forscherleben lang mit dem Thema Schamanismus und dessen kulturellen sowie neurophysiologischen Grundlagen beschäftigt. Sein Buch Shamanism. A Biopsychological Paradigm of Consciousness and Healing stellt ein Grundlagenwerk dar. In dem in diesem Jahr erschienenen Artikel „Chinese Wu, Ritualists and Shamans: An Ethnological Analysis“, der hier als Studie des Monats vorgestellt wird, nimmt er sich der Frage an, welche (religiösen) Ritualisten mit dem chinesischen Begriff Wu bezeichnet werden, der im allgemeinen mit dem Begriff „shaman“ ins Englische übersetzt wird. Er stellt die Frage, ob diese Übersetzung adäquat ist bzw. in welchem Verhältnis diese Ritualisten zum westlichen dominanten Konzept von Schamaninnen und Schamanen stehen. Jenes war vor allem durch Mircea Eliade in dessen Buch Schamanismus und archaische Ekstasetechnik ausformuliert worden.
Man könnte dies nun für eine sehr trockene und nur einige Sinologen oder Ethnologen interessierende Arbeit halten, doch bietet die chinesische Geschichte und Kultur ein großes Spektrum an Ritualisten, die Winkelman nach verschiedenen Aspekten wie beispielsweise „Auswahl und Ausbildung“, „soziale und politische Macht“, zugeschriebene „paranormale Fähigkeiten“, Bedeutung von „veränderten Bewusstseinszuständen (ASC)“ analysiert. Die dem Artikel beigefügten umfangreichen Vergleichstabellen stellen eine exzellente Systematisierung von religiösen Spezialisten und ASC-Experten dar, die aufgrund von Winkelmans kulturübergreifendem Ansatz auch in anderen kulturelle Kontexten angewendet werden kann. Allein diese Systematisierung auf den ersten Seiten des Aufsatzes stellt eine lohnenswerte Lektüre und ein nützliches Werkzeug dar. Auch wenn man nicht unbedingt Winkelmans evolutionsbiologischer Theorie der Entstehung von Schamanismus und Religion folgen will, die er in vielen seiner Schriften propagiert, bietet seine anthropologische Expertise eine gewinnbringende Differenzierung von Heilern, Medien, Priestern, Wahrsagern und anderen religiösen Ritualisten, die oft unreflektiert als Schamanen bezeichnet werden.