Die Vorstellung ist schrecklich: Man befindet sich in seinem Körper, ist bei klarem Bewusstein und nimmt die Umgebung wahr, die Gespräche der anwesenden Personen und ihr Handeln, jedoch die Mitwelt ist nicht in der Lage, meinen klaren Bewusstseinszustand zu erkennen. Ein Empfinden, das vielleicht dem des lebendig Begrabenseins ähneln mag. Genau einen solchen dramatischen Fall stellen die Autoren dieser Studie des Monats, Michael Nahm und Kolleg:innen, vor. Die Situation allein, die einem Horrorfilm entstammen könnte, wäre allerdings noch kein Grund, das Geschehen in einen Zusammenhang mit der Anomalistik zu bringen. Interessant wird er in dieser Hinsicht zum einen durch das Auftreten von außerkörperlichen Erfahrungen (AKEs) und den damit verknüpften Wahrnehmungen, zum anderen durch die Implikationen, die er für unser Verständnis vom Zusammenhang zwischen Bewusstseinstätigkeit und neurophysiologischen Korrelaten hat.
Eine orthodoxe Interpretation von AKEs, die von Zuständen dysfunktionaler Gehirnphysiologie berichtet werden (z.B. nach Herzstillstand oder im Koma), besteht bekanntlich darin, dass es sich um nachträglich während des Aufwach-Prozesses konstruierte Narrative und nicht um Echtzeiterfahrungen handelt. Die phänomenologische Beschaffenheit dieses Falls stützt hingegen klar eine Echtzeithypothese sowie die umfassendere Hypothese, wonach klares Bewusstsein in Extremsituationen auch unabhängig von neurologisch funktionseingeschränkten Gehirnprozessen möglich sein kann. Dass der Fall auch rätselhaft hinsichtlich der Ursache der medizinischen Krise wie auch der nicht erwartbaren Wiedergewinnung der Gesundheit blieb, kommt zu den schon erwähnten Bezügen zur Anomalistik noch hinzu.
