Stellt man die Frage, warum der Anteil der Frauen unter den Opfern der Hexenverfolgungen in Mitteleuropa erheblich größer ist als der der Männer – man geht von 70 bis 80 Prozent weiblicher Opfer aus –, dann wird sehr häufig eine generelle Frauenfeindlichkeit in männerbestimmten Gesellschaften als Ursache angeführt. Die jüngere historische Forschung zeigt jedoch, dass die Sachlage deutlich komplexer ist, dass z.B. erhebliche regionale und konfessionelle Unterschiede festzustellen sind. Eine aktuelle Arbeit der Medizinhistorikerin Philippa Carter verfolgt eine interessante Hypothese zur ungleichen Geschlechterverteilung der Opfer von Hexereivorwürfen im frühmodernen England, die sie in plausibler Weise vor allem auf arbeitsbezogene Faktoren zurückführt. Als Schlüsselvariable macht sie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung mit den damit verknüpften Faktoren von beruflichem Risiko, der Häufigkeit von Kontakten im Alltag und am Arbeitsplatz aus. Die Autorin geht in ihrer Analyse nicht den üblichen Weg und untersucht offizielle juristische Dokumente oder Flugblätter, sondern wählt als Datenquelle handschriftliche Fallnotizen bzw. -aufzeichnungen des Arztes und Astrologen Richard Napier (1559–1634), die dieser über vier Jahrzehnte zu seiner Klientel gesammelt hatte.

Unter den fast 70.000 gesammelten Fallberichten wurde in etwa 1.700 Fällen Hexerei als eine mögliche Ursache erwähnt. Nur bei einem kleinen Teil der Einträge, nämlich 130, ist genügend Information vorhanden, welches die Autorin qualitativ analysieren konnte. Dieses Material reicht allerdings, um ein eindrückliches und lebendiges Bild der lebensweltlichen Situation zu jener Zeit zu entwerfen. Frauen waren für die Milchwirtschaft und für Gesundheits- bzw. Krankheitsangelegenheiten zuständig, während Männer auf dem Feld arbeiteten oder Handwerksberufen nachgingen. Das Risiko, dass beispielsweise bei der Käserei oder der Behandlung von Krankheiten etwas misslingt, ist erheblich größer als bei der Arbeit auf dem Feld, zumal dort Missernten kollektive Auswirkungen haben und nicht nur einzelne Bauern betreffen. Dies ist nur ein Beispiel der genderspezifischen Aufteilung der Arbeit, die die Wahrscheinlichkeit, als Hexe oder Hexer angeklagt zu werden, stark beeinflusst haben wird.

Carter, P. (2023). Work, Gender and Witchcraft in Early Modern England. Gender & History, 1-18. DOI: 10.1111/1468-0424.12717