Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift für Anomalistik, erschienen als Jahresband 2008, widmet sich der Bedeutung Freiburgs als zentralem Standort der Anomalistik-Forschung in Deutschland. So diskutieren Gerhard Mayer und Michael Schetsche im Editorial die Bedeutung Freiburgs als traditionelle Hochburg esoterischer und New-Age-verwandter Glaubensströmungen einerseits und als Zentrum der deutschsprachigen wissenschaftlichen Parapsychologie seit 1950 andererseits. Gemäß des Themenschwerpunkts des Heftes stammen die Hauptbeiträge allesamt von Autoren mit Anbindung an eine der beiden anomalistischen Forschungsstätten in Freiburg, dem Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) bzw. der Abteilung für komplementärmedizinische Evaluationsforschung am Institut für Umweltmedizin (IUK), Universitätsklinikum Freiburg.

Im ersten Beitrag stellen Peter Pütz, Matthias Gäßler und Jiri Wackermann vom IGPP die Ergebnisse ihrer Experimentalstudie zur Telepathie im so genannten Ganzfeld-Setting vor, in dem eine als "Empfänger" fungierende Versuchsperson in einen Zustand sensorischer Deprivation versetzt wird, der die Wahrnehmung außersinnlichen Eindrücke fördern soll. Um etwaige Störeffekte – z.B. evtl. negative Glaubenseinstellungen der Teilnehmer zur Existenz außersinnlicher Wahrnehmung, Ablenkung von Eindrücken durch Instruktion an den "Empfänger", diese kontinuierlich zu verbalisieren – auszuschließen, wurden in dieser Studie die Versuchspersonen (insgesamt 40 Paare) als Teil des experimentellen Designs über den parapsychologischen Charakter der Studie in Unkenntnis gelassen. Zusammenfassung

Der Aufsatz von Stefan Schmidt (IUK) gibt einen Überblick zu Experimenten zur Evaluation der "außersinnlichen Blickwahrnehmung." Ausgehend von der Behauptung mancher Personen, dass sie zuverlässig Blicke anderer außerhalb des eigenen Sehfeldes "erspüren" können, ist in der Parapsychologie das experimentelle Paradigma des "Remote Staring" entstanden, in dem unter kontrollierten Versuchsbedingungen dieses umstrittene Phänomen überprüft werden soll. Schmidt gibt einen Überblick über bisherige Experimente und diskutiert diese unter Miteinbeziehung eigener Ergebnisse. [Zusammenfassung] [Volltext als PDF]

Im nächsten Beitrag stellen Thilo Hinterberger, Ursula Mochty, Stefan Schmidt, Lisa-Milena Erat und Harald Walach (IUK Freiburg und University of Northampton, England) bisherige Ergebnisse von Experimenten vor, in welchen die Hirnaktivitäten von räumlich getrennten Versuchspaaren verglichen wurden. Hinterberger und Kollegen diskutieren hier vor allem eigene Studien, in denen die EEGs von Versuchspaaren vermessen wurden, die sich getrennt je in Deutschland und England aufhielten und dort an zeitlich synchronisierten Experimenten teilnahmen. Die Ergebnisse werden abschließend im Hinblick auf die "Weak Quantum Theory" diskutiert, die sich zum Verständnis anomalistischer Phänomene der quantentheoretischen Denkfigur der Komplementarität bedient.

Wolfgang Ambach (IGPP) diskutiert die Ergebnisse seiner Wahrnehmungsstudie mit 25 Studierenden an der Universität Freiburg, die "paranormale" Erfahrungen berichten. Unter Verwendung verschiedener Skalen aus der Persönlichkeitspsychologie wurde untersucht, in wieweit Personen, die zu scheinbar paranormalen Erfahrungen neigen, Gestalthaftes in ambivalentem Bildmaterial erkennen. Weiter wurde den Fragen nachgegangen, ob sich subjektives Erkennen einer Gestalt im gleichzeitig gemessenen EEG widerspiegelt, und ob sich die neurophysiologischen Korrelate von Personen mit Neigung zu scheinbar paranormalen Erfahrung von Personen ohne eine solche Neigung unterscheiden.

Ina Schmied-Knittel vom IGPP gibt in ihrem Aufsatz eine Übersicht über repräsentative Umfragen zu außergewöhnlichen Erfahrungen, die zu belegen scheinen, dass solche subjektive Erfahrungen in der Normalbevölkerung weiter verbreitet sind als gemein angenommen. Im Hauptteil werden die Ergebnisse einer eigenen Umfragestudie diskutiert, die in mancher Hinsicht bisherigen Befunden zu widersprechen scheinen. [Zusammenfassung] [Volltext als PDF]

Beschlossen wird der Hauptteil des Themenheftes mit einem Beitrag von Martina Belz (ehemals IGPP) und Thomas Berger von der Universität Bern. Die Autoren diskutieren den Zusammenhang zwischen psychischem Wohlbefinden, außergewöhnlichen Erfahrungen und Emotionsregulation. Anhand einer Stichprobe von Personen, die die Beratungsstelle des IGPP aufgesucht hatten, wird diskutiert, ob sich bei Menschen, die außergewöhnliche Erfahrungen berichten, Auffälligkeiten in der Emotionsregulation finden lassen, und in welcher Beziehung solche Auffälligkeiten zu außergewöhnlichen Erfahrungen selbst stehen.

In der Rubrik "Fortgesetzte Diskussionen zu früheren Beiträgen" diskutieren Eckhard Etzold (Broitzem bei Braunschweig), Andreas Hergovich (Wien) und Suitbert Ertel (Göttingen) den Wert und Unwert der Ausschreibung von Preisgeldern zur Demonstration von angeblichen Psi-Effekten, sowie das Problem des zuverlässigen Ausschlusses der Betrugshypothese in parapsychologischen Experimenten. Gegenstand der Diskussion sind die früher in der Zeitschrift für Anomalistik und anderswo vorgestellten Ergebnisse von Ertels Ballstudien, die einen psychokinetischen Effekt zu belegen scheinen, und die im Rahmen eines von der "Skeptiker"-Organisation GWUP veranstalteten Preisausschreibens überprüft werden sollten.

Der diesmal fast 120 Seiten umfassende Rezensionsteil reflektiert eindrücklich das weite Spektrum von Themen und Ansätzen innerhalb der Anomalistik. Unter den besprochenen kulturwissenschaftlichen Arbeiten befinden sich Studien zum Thema Schamanismus, zum heidnischen Wiccatum, und über Berichte von angeblichen Begegnungen mit Außerirdischen, die durch eine Besprechung einer sozial- und religionswissenschaftliche Studie zum selben Thema ergänzt wird. Zu den besprochenen Werken mit historischem Schwerpunkt gehören Arbeiten über den alt-iranischem Schlangenkult, den berüchtigten "Magier" Aleister Crowley, eine neue biographische Studie über Hans Bender (dem Altmeister der Freiburger Parapsychologie), sowie über den Spiritismus in Berlin und München um 1900. Besprochene empirisch-konzeptuelle Arbeiten widmen sich dem Zusammenhang zwischen Parapsychologie und Vitalismus, der Survival-Forschung, quantenphysikalischen Interpretationen von ASW, und der Evaluation des Bewusstseinsmodells von Frederic Myers (1843-1901) im Lichte heutiger neurowissenschaftlicher Befunde.